Leonardos deutsche Kollegen

Leonardo da Vinci (1452-1519) war ein Universalgenie, das nicht nur in Malerei und Plastik, sondern auch in der Anatomie, der Mathematik, Mechanik und Ingenieurskunst beachtliches leistete. Die stets kriegerisch und kulturell miteinander konkurrierenden Höfe der italienischen Renaissance boten seinen vielfachen Begabungen ein reiches Betätigungsfeld.

Leonardo war jedoch nicht einzigartig in seiner Zeit. Auch in den Territorien des Reiches wuchsen im Laufe des 15. Jahrhunderts zahlreiche Techniker und Ingenieure heran. Und auch sie legten zum Teil schon vor Leonardo Skizzenbücher an, in denen sie ihre Konstruktionen festhielten. Die Skizzen dienten als Gedächtnisstütze, zum Austausch im Kollegenkreis, zur Unterrichtung des Nachwuchses oder zur Vorlage bei potentiellen Arbeitgebern. Manchmal waren es auch die Höfe selbst, die repräsentative Bilderhandschriften anfertigen ließen.

Insgesamt existieren etwa 50 deutschsprachige technische Bilderhandschriften mit mehreren Tausend Skizzen. Im Vergleich mit Leonardo da Vinci wirken sie zeichnerisch weniger vollkommen. Die Skizzen sind oftmals grob und den meisten fehlt die Perspektive.

Im Vergleich zu Leonardo sind auch die Themen beschränkter. Sehr oft geht es um Kriegsgerät. Das hängt mit dem typischen Arbeitsfeld der frühen Techniker zusammen. Oft wurden sie als Büchsenmeister beschäftigt, um mit den modernen Feuerwaffen militärische Vorteile zu erlangen. Künstlerische Ambitionen wurden von ihnen nicht verlangt. Dafür unterhielten die Höfe eigene Maler oder Dichter. Den Typ des Künstleringenieurs gibt es im deutschsprachigen Raum nicht.

 

 

Perspektivisch nicht ganz korrekte Darstellung eines drehbaren Geschützes von Philipp Mönch (Universitätsbibliothek Heidelberg, cpg 126, fol. 25r – Lizenz CC BY-SA 3.0 DE)

 

 

 

In Friedenszeiten wurden die Büchsenmeister offenbar für den Baubetrieb herangezogen. So gibt es in ihren Skizzenbüchern auch oft Zeichnungen von Kränen und Hebezeug. Daneben beschäftigten sich viele mit Antriebstechnik, besonders im Bereich des Mühlenwesens. Anders als bei Leonardo beschränken sich die Zeichnungen fast durchgehend auf pragmatische Aspekte. Man versuchte auszuloten, was technisch möglich ist und funktioniert. Auf eine theoretische Durchdringung und die Aufstellung von Gesetzmäßigkeiten verzichteten die meisten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Darstellung eines drehbaren Krans von Philipp Mönch (Universitätsbibliothek Heidelberg, cpg 126, fol. 17r – Lizenz CC BY-SA 3.0 DE)

 

Aber es gibt auch Ähnlichkeiten. Wie Leonardo da Vinci versuchten die deutschsprachigen Ingenieure sich in Kombinationen und Variationen von bewährter Technik, um neue Anwendungsgebiete zu erobern. Im Vordergrund stehen Effizienz und Rationalität. Wie lassen sich Maschinen bauen, die mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel selbständige Arbeit verrichten?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schematische Darstellung des Antriebsstrangs einer Mühle von Philipp Mönch: Mit Schubstangen betätigte Kurbelwelle mit Schwunggewichten, Abtrieb mit Zahnrad auf zwei Nebenwellen (Universitätsbibliothek Heidelberg, cpg 126, fol. 17r – Lizenz CC BY-SA 3.0 DE)

 

Wie lassen sich verschiedene Antriebsarten einsetzen, um unterschiedliche Maschinen anzutreiben? Komplexe Maschinen wurden in ihre Einzelteile zerlegt, um aus einem solchen Reservoir an ‚Maschinenelementen‘ neue Maschinen für unterschiedliche Anwendungsbereiche zusammenzusetzen.

 

 Komplexer Mühlenantrieb über aufziehbare Fallgewichte, Zahnräder mit Sperrklinken, Kammräder mit Nebenwellen aus dem ‚Weimarer Ingenieurkunst- und Wunderbuch‘ um 1515 (Digitale Sammlungen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Klassik Stiftung Weimar, Fol 328, fol. 28r – Lizenz mit freundlicher Genehmigung der Anna Amalia Bibliothek)

 

 

 

 

 

 

 

Hier wird eine Auswahl deutschsprachiger technischer Skizzenbücher präsentiert. Sie reichen vom Beginn des 15. Jahrhunderts bis zum Jahr 1519, dem Todesjahr Leonardo da Vincis. Aufgenommen wurden dabei nur Handschriften, die in den letzten Jahren digitalisiert wurden. Kurzen Angaben zu Autor und Inhalt folgt der Link zum Digitalisat und zu einer Beschreibung der Handschrift.

 

Anleitung Schießpulver zu bereiten, Büchsen zu laden und zu schießen   

Anonymes Büchsenmeisterbuch

Konrad Kyeser, Bellifortis  

Anonymes gereimtes Büchsenmeisterbuch

Anonyme Kriegs- und Befestigungskunde, Büchsen- und Pulvermacherei  

Johannes Bengedans, Gereimte Feuerwerk-buch mit Illustrationen

Der Hussitenkriegsingnieur  

Johannes Formschneider, Büchsenmeisterbuch  

Hans Henntz, Rüstbuch 

Sog. ‚Mittelalterliches Hausbuch‘ 

Martin Merz, Büchsenmeisterbuch   

Philipp Mönch, Buch der stryt und büchsen

Rüstbuch der Stadt Frankfurt     

Martin Löffelholz, Allerlei Handwerkszeuge

Ludwig von Eyb d. J., Kriegsbuch

Weimarer Ingenieurkunst- und Wunderbuch 

Christoph Seßelschreiber, ›Von Glocken- und Stuckgießerei‹