Gegenwartsliteratur und digitale Schreibweisen

Inhalt

Analog – Digital – Postdigital

Unter dem Schlagwort ‚digitale Literatur‘ werden diverse Phänomene subsumiert, deren Verhältnis zum Digitalen und deren Entstehungsrahmen kaum unterschiedlicher sein könnten. Nicht nur könnte unter Einbeziehung aktueller Arbeitsweisen praktisch jeder Text als ‚digital‘ bezeichnet werden, der mithilfe von Word abgetippt worden ist (wie Hannes Bajohr im Text + Kritik Sonderband: Digitale Literatur II feststellt). Auch tun sich Schreibszenen und Trends hervor, die je nach Methode und Selbstverständnis weit voneinander entfernt liegen.

Während experimentelle Phänomene wie die Hypertextliteratur teils bereits als historische Fußnote behandelt werden, scheinen sich aktuellere Schlagworte wie Twitteratur, Flarf, Partikelpoetik außerhalb eines interessierten Personenkreises kaum durchzusetzen. Sie sind zu finden in Publikationen unabhängiger Verlage wie microtext oder dem Frohmann-Verlag, die unter dem Motto ‚digital first‘ beispielsweise Anthologien von Kurz- oder Kürzesttexten veröffentlichen, die je nach Betrachtungsweise an Aphorismen oder aber an Internet-Memes erinnern.

Als literarisches Experiment können Texte gelten, die in Kollaboration mit künstlichen Intelligenzen entstehen: So veröffentlicht Mattis Kuhn seine ‚Selbstgespräche mit einer KI‘ nebst Code, um den Entstehungsprozess zu dokumentieren. In ‚poesie.exe. Texte von Menschen und Maschinen‘ stehen solche Texte gleichberechtigt (und unmarkiert) neben denen menschlicher Autor:innen.

Demgegenüber steht jedoch auch erzählende Gegenwartsliteratur, die digitale Lebensrealitäten als literarisches Thema aufgreift und bearbeitet. Die Protagonist:innen werden hier konfrontiert mit den parasozialen Dynamiken sozialer Medien, der Schnelllebigkeit des Internets oder der zunehmenden Verbreitung smarter Geräte und künstlicher Intelligenzen in das Intimste unserer Privatleben. Als Beispiele hierfür können aktuelle Romane von Mithu Sanyal, Julia Zange, Berit Glanz oder Joshua Groß dienen. Dass diese Autor:innen teils auch selbst in sozialen Medien auftreten und mit diesen interagieren, stellt sich auch hier die Frage, wie sich diese Erfahrungen in den Texten abzeichnen.

Im Seminar werden wir uns deshalb Texte lesen und diskutieren, die in diesen grob skizzierten Feldern zu verorten sind, sowie eine literaturwissenschaftliche Perspektive auf diese Phänomene auf Grundlage von aktueller Forschungsliteratur erarbeiten.

Studienleistung:
 Zum Bestehen der Studienleistung wird die regelmäßige Teilnahme sowie aktive Beteiligung an der Seminardiskussion vorausgesetzt. Darüber hinaus entscheiden Sie sich für eine Textexpertise und halten einen kurzen Impulsvortrag. Themen werden in den ersten 2-3 Sitzungen vergeben.

Literaturhinweise

Kreuzmair, Elias, Pflock, Magdalena and Schumacher, Eckhard. "Einleitung: Feeds, Tweets & Timelines – Schreibweisen der Gegenwart in Sozialen Medien". Feeds, Tweets & Timelines - Schreibweisen der Gegenwart in Sozialen Medien, edited by Elias Kreuzmair, Magdalena Pflock and Eckhard Schumacher, Bielefeld: transcript Verlag 2022.

Hamel, Hanna/Stubenrauch, Eva: Wie postdigital schreiben?: Neue Verfahren der Gegenwartsliteratur, transcript Verlag 2023.